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15.07.2019

VoIP-Telefonie? Klar! Aber muss die Telefonanlage unbedingt in die Cloud?

Dr. Christian Stredicke, Gründer und Geschäftsführer Vodia Networks

Von Dr. Christian Stredicke, Gründer und Geschäftsführer Vodia Networks

Eine Telefonanlage ist heute nichts anderes als eine weitere Anwendung, die auf einem Server läuft, der eine CPU, RAM, etwas Platz auf der Festplatte und eine stabile Netzwerkverbindung benötigt. Ein Server kann heute praktisch überall betrieben werden – aber was ist der beste Standort für einen Server, auf dem eine Telefonanlage (PBX) läuft?

Web- und E-Mail-Server werden mittlerweile praktisch vollständig gehostet. Nur noch wenige Unternehmen hosten diese Dienste in ihrem eigenen internen Rechenzentrum. In der Cloud gehostete Dienste haben schließlich eine überwältigende Anzahl von Vorteilen im Vergleich zu Diensten, die vor Ort bereitgestellt werden.

Im Prinzip ist es auch sinnvoll, die PBX zentral zu betreiben. Die starken Wachstumszahlen aus diesem Bereich machen klar, dass die Reise mittel- und langfristig dort hin geht.

Der Betrieb einer Telefonanlage in der Cloud hinkt deutlich hinterher. Warum ist das so?
Schätzungen gehen davon aus, dass heute immer noch 70–80 % aller Telefonanlagen im LAN betrieben werden, nicht in der Cloud. Ein Hauptgrund ist, dass Sprachpakete wesentlich zeitkritischer sind als normale HTTP-Pakete. Das menschliche Ohr empfindet ein Echo, das mehr als 100 ms lang läuft, als störend. Beträgt die Verzögerung über 200 ms, fallen sich die Teilnehmer gegenseitig ins Wort. Wenn Pakete komplett ausfallen, kann keine vernünftige Unterhaltung stattfinden. Die Anfangszeiten von VoIP haben eine Menge verbrannte Erde hinterlassen, wenn es um das Thema Paketverlust geht. Während es durchaus normal ist, dass die meisten Dienste global an einem Standort gehostet werden, wird das für VoIP schwierig.

Apps wie Skype und WhatsApp verbinden die Teilnehmer direkt miteinander. Dadurch ist die Verzögerung der Sprachpakete so kurz wie möglich; es macht es aber schwierig, Gespräche zu vermitteln. Andere Funktionen wie das Aufzeichnen von Gesprächen erfordern, dass diese direkt im Endgerät durchgeführt werden. Leider haben die Router und Firewalls der letzten Jahre in dem Bereich keine rühmliche Rolle gespielt. Microsoft war auf diesem Gebiet mit OCS, Lync, Skype for Business und nun Teams technologisch Vorreiter, hatte und hat aber damit zu kämpfen, dass die Auswahl an kompatiblen Geräten und Services eingeschränkt ist und dass die Kunden sich im Microsoft-Ökosystem bewegen müssen.

WebRTC (Web Real-Time Communication – Web-Echtzeitkommunikation) wird dieses Problem in den nächsten Jahren sauber adressieren. Allerdings gibt es heute kein einziges Tisch- oder DECT-Telefon, das WebRTC unterstützt. Wer heute eine Telefonanlage braucht, kann nicht warten, bis sich WebRTC auch im Business-Bereich durchgesetzt hat. Er muss nehmen, was im Markt verfügbar ist. Bis es für die Cloud-PBX auf Basis von WebRTC zu einer für alle Anforderungen praktikablen Lösung kommt,  werden wir wohl noch ein wenig Geduld haben müssen.

Wo sind meine Daten?
Die europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) adressiert nicht nur Social Media, sondern auch Betriebe, die nichts mit dem großen Internetgeschäft zu tun haben. Ärzte, Rechtsanwälte und andere Berufsgruppen müssen sorgfältig mit den Daten ihrer Patienten, Mandanten und Kunden umgehen, aus rechtlichen Gründen, aber auch aus eigenem Interesse – schließlich steht das Vertrauen ihrer Kunden auf dem Spiel. Große Ansammlungen von Daten sind zwar effizienter zu verarbeiten, aber eben auch fette Beute für Angreifer. Der Betrieb der Telefonanlage im eigenen Netz bietet einfach eine wesentlich geringere Angriffsfläche als das Auslagern in die Cloud. Es ist auch klar, wo genau die Daten gespeichert werden und wer Zugriff darauf hat. Ein Hacker hat heute wesentlich Besseres zu tun als eine Telefonanlage im LAN anzugreifen, wo maximal ein paar Verbindungsdaten abgegriffen werden können. Und selbst wenn – eine gute Telefonanlage im LAN ist genauso gut gesichert wie die Anlage in der Cloud.

Nächster Halt: Router
Im Laufe der Jahre hat sich der Router zu einer leistungsstarken Plattform für die Bereitstellung von Diensten im lokalen Netzwerk entwickelt – und er ist auf dem besten Weg, die einzige Plattform zu werden, die Dienste im LAN bereitstellt. Dies passt gut in eine Umgebung, in der Dienste meist in der Cloud ausgeführt werden. Dort laufen die Dienste, die in der Cloud zuverlässig ausgeführt werden können, und der Rest läuft im Router. Ausnahmen bilden große lokale Netzwerke und Netzwerke, bei denen besondere Anforderungen an Dienste und Datenschutz die Verwendung lokaler Server erfordern.

Heute verfügen Router über viele Funktionen und Dienste, wie zum Beispiel WLAN, Modem, Switch, DHCP, DNS und eine intelligente Firewall. Es ist einfach sinnvoll, die Telefonanlage auch auf dem Router zu haben. Wen interessiert es, wie viele Ressourcen beispielsweise ein DHCP-Server benötigt? Der Router ist so leistungsfähig geworden, dass der Betrieb einer Telefonanlage auf dem Router kein Problem mehr ist – sowohl aus Speicher- als auch aus CPU-Sicht.

Der Betrieb der Telefonie-Software auf dem Router bringt zusätzliche Vorteile mit sich. Die Bereitstellung von angeschlossenen Geräten wird wesentlich einfacher. Die Kopplung eines WLAN-Gerätes kann per Knopfdruck erfolgen, warum nicht auch die eines VoIP-Telefons? Die Telefonanlage kann direkt mit dem DHCP-Server sprechen, um herauszufinden, welche Geräte sich im LAN befinden und woher sie ihre Konfiguration beziehen sollen.

Und nicht zu vergessen: DECT
Ende der 90er Jahre gab es sehr erfolgreiche Produkte, die DECT, Telefonanlage und ISDN kombinierten. Diese Geräte, die ihre Bürokommunikation sicherstellten, wurden von den Kunden geradezu geliebt, ließen sie sich doch einfach einrichten und warten. All das heute in einen Router zu integrieren, ist durchaus sinnvoll.

Silicon Valley war nie in DECT verliebt. Da DECT analoge schnurlose Telefone zu Hause und in kleinen Büros lautlos, schnell und vollständig ersetzt hat, ist es sinnvoll, nicht nur die WLAN-Basisstation, sondern auch eine DECT-Basisstation in den Router aufzunehmen. Wie bei der Kopplung eines neuen WLAN-Geräts können DECT-Mobilteile problemlos mit dem Router gekoppelt werden. Das moderne DECT hat nicht nur Standards für das Telefonieren, sondern über CAT-iq sind auch weitere Funktionen wie Adressbuch und Anrufumleitung verfügbar. Das Angebot an DECT-Geräten ist heute unschlagbar, wenn es um Mobilität, Batterielaufzeit und Preis-Leistungs-Verhältnis geht.

Fazit
Zusammenfassend ist es für mich überraschend, dass Unternehmen immer noch Telefonanlagen auf PC-Servern vor Ort installieren. Die Zeit, die allein für die Installation und Aktualisierung des Betriebssystems aufgewendet wird, lässt sich besser für produktivere Dinge nutzen. In vielen Fällen übersteigen bereits die lebenslangen Stromkosten für einen Server die Kosten für ein Gerät, das alles kann. Meine Prognose ist, dass die Zahl der neuen PC-basierten lokalen PBX-Installationen bis Ende 2021 um mindestens 50 % sinken wird. Viele werden in die Cloud gehen, aber viele werden sich auch für die Telefonanlage im Router entscheiden. Wir sind bereit.