Wie Wilhelm Wieben, das Café Keese auf der Reeperbahn, 2bitch und eine Funky Fashion Show im Oktober 1994 den Kultstatus der Casio G-Shock begründeten

Eine Referenz von unserem Managing Director Manfred Großert, dem damaligen Pressesprecher von Casio

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Ausgangslage

Der sensationelle Erfolg der G-Shock begann Anfang 1994, elf Jahre nachdem Casio die erste Uhr unter diesem Namen präsentiert hatte. Doch es war kein Big Bang: Alles geschah zunächst ganz still und heimlich im Verborgenen.

Das Casio Marcom-Team unter der Leitung von Heino Hilbig hatte sich schon zuvor mit Jugendtrends beschäftigt, um die immer kaufkräftigeren jungen Zielgruppen zu erschließen. Doch richtig heiß wurde das Thema erst, als fast zeitgleich junge Szenegänger im Tokioter In-Bezirk Shibuya sowie Club-Besucherinnen und -Besucher in London, Liverpool und New York immer häufiger mit einer G-Shock abgelichtet wurden.

Alles deutete darauf hin: Diese außergewöhnlichen Casio-Uhren hatten das Potenzial, zur neuen Trendmarke im Uhrenmarkt aufzusteigen – und Swatch nach fast zehn Jahren vom Marktführer-Thron zu stoßen. Denn während es bei Swatch einen Trend gab, Uhren immer dünner und anschmiegsamer zu machen – manche waren weniger als 4 mm hoch – präsentierte sich G-Shock als provokantes unisex Lifestyle-Icon, mit der Mann/Frau ein Statement setzt und in jedem Fall auffällt. Aber die Marktmacht von Swatch schien übermächtig, hatte das Unternehmen doch bereits 1992 die 100-millionste Uhr verkauft und schwamm, salopp gesagt, im Geld.

Aufgabe

Casio hatte dagegen nur einen Bruchteil des Swatch-Budgets zur Verfügung, um G-Shock bekannt zu machen. Klassischerweise hätte man eine großangelegte Werbekampagne geschaltet – und das Ganze durch PR begleitet. Doch angesichts der beschränkten Mittel stimmte die Geschäftsführung zu, bei diesem Launch alles anders zu machen und voll und ganz auf Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu setzen.

Umsetzung/Ergebnisse

Manfred Großert, heute Managing Director der internationalen PR- und Marketingagentur united communications, war damals als Pressesprecher von Casio und für die PR-Kommunikation verantwortlich. Gemeinsam mit dem Team entwickelten und realisierten sie eine mehrstufige PR-Kampagne, in der G-Shock immer in den Kontext von Fashion, Lifestyle und Technik gestellt wurde.

Ab September 1994 landeten dann im Abstand von nur jeweils einer Woche gleich fünf G-Shock-Mailings hintereinander bundesweit auf annähernd 1000 Redaktionstischen. Eigentlich ein No-Go, so ein PR-Dauerfeuer; aber G-Shock war eben anders – auch in der Kommunikation.

Tatsächlich gab es einige wenige kritische Rückmeldungen, so u. a. einen erbosten Anruf vom NDR-Fernsehen. Die leitende Redakteurin drohte sogar damit, wegen der „sexistischen Bildsprache“ Beschwerde beim Presserat einzureichen – was ihr dann aber wohl selbst zu albern erschien.

Den Handel mitnehmen

Parallel wurde der Uhren-Fachhandel, der für einen Vermarktungserfolg unabdingbar war, auf die bevorstehenden Neuerungen geschult und mit außergewöhnlichen POS-Materialien ausgestattet. Doch nicht wenige fragten, wie es die Niederlassung eines japanischen Uhrenherstellers – bekannt vor allem für preisgünstige Digitaluhren und Taschenrechner – schaffen wolle, der Schweizer Swatch den Rang als führende Digitaluhrenmarke abzulaufen.

Die Antwort von Casio war: Lasst euch überraschen. Und die größten und wichtigsten Händler bekamen den Hinweis: Haltet euch den 13. Oktober 1994 frei und kommt nach Hamburg.

Casio goes fashion

Klar war: Casio konnte sein über mehr als zwei Jahrzehnte geprägtes Image unmöglich allein ändern. Aus diesem Grund wurde eine PR-Kooperation mit dem Avantgarde-Designer-Duo Roland Brücher und Petra Rodeck vereinbart, die ihre beiden Boutiquen im Herzen Hamburgs (direkt hinter dem Hotel „Vier Jahreszeiten“ gelegen) unter einem Dach vereint hatten. „Hier trifft sich, wer Mode nicht als Diktat oder Konvention sieht, sondern als persönliches Ausdrucksmittel. (…) 2bitch ist mittlerweile ein Synonym für das Aufspüren neuer Trends und neuer Designer aus dem In- und Ausland geworden. Neben Eigenkreationen werden auch die jungen Zweitlinien etablierter avantgardistischer Modemacher geführt.“

Der Launch-Event

Am 13. Oktober 1994 luden Roland Brücher und Petra Rodeck von 2bitch gemeinsam mit Casio zur G-Shock Funky Fashion Show ins Café Keese auf der Reeperbahn in Hamburg ein. Angekündigt wurde das Ganze seinerzeit so: „G-Shock ist hart, schwarz oder silberfarben, groß und anders. G-Shock ist die Uhr, die nicht versteckt getragen wird, kein dezentes Mode-Etwas, sondern ein gewichtiges, weithin sichtbares Fashion-Statement am Handgelenk.“

Zur G-Shock Funky Fashion Show konnten, bedingt durch die notwendigen Umbauten für die Präsentation, nur circa 400 Gäste geladen werden – die eine Hälfte der Tickets verkaufte 2bitch an Freunde, Bekannte und Modebegeisterte, die andere Hälfte lud Casio persönlich ein, darunter, wie gesagt, viele Handelspartner, aber auch mehr als 150 hochkarätige Journalistinnen und Journalisten aus ganz Deutschland.

Als Moderator für die Show war es gelungen, den Nachrichtensprecher Wilhelm Wieben zu gewinnen. Er kam tatsächlich zwischen Tagesschau und Tagesthemen per Taxi ins Café Keese – und sprach in seiner unverwechselbaren Art – wohlgemerkt, auf einer von einem japanischen Unternehmen organisierten Veranstaltung zu internationalen Managern, Modemachern, Szenegängern und Medienleuten – auf Plattdeutsch. Der Saal bebte, als Wilhelm Wieben die Bühne verließ – und die Fashionshow von 2bitch startete – selbstredend, dass alle Models mindestens eine G-Shock trugen.

Dass sich Uhren aber nicht nur am Handgelenk gut machen, bewies die von Casio engagierte Modemacherin Gabriele Hunck. In den sechs von ihr entworfenen Avantgarde-Outfits waren die Uhren von Casio das zentrale Motiv.

Highlight war – natürlich – das obligatorische Brautpaar, das zum Schluss der Show auf die Bühne kam: Bei ausgeschaltetem Saallicht und zu Hildegard Knefs „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ begannen die mehr als 100 G-Shocks, die in den extravaganten Roben verarbeitet waren, zeitgleich blau zu blicken – ein romantischer Moment, den in diesem Kontext und in dieser Location so niemand erwartet hatte.

Nachklapp

Mit der Funky Fashion Show war der Grundstein für den G-Shock-Erfolg gelegt.

Leider stand das Internet 1994 in Deutschland erst in den Startlöchern, und soziale Medien gab es auch noch nicht. Nur zu gern hätten wir die unzähligen PR-Aktionen geteilt, z. B. wie ein Elefant in Hagenbecks Tierpark auf eine G-Shock tritt und sie über den Betonboden schleift. Das Armband war danach zwar defekt – aber die Uhr lief einwandfrei. Oder wie ein Händler einen „Hau-den-Lukas“-Stand vor seinem Ladengeschäft aufbaute und Passanten auf eine G-Shock schlagen ließ.

Harald Schröder, heute General Division Manager Digital Marketing bei Casio, war schon 1994 an Bord und hat mit seinem Team vor allem das Jugend-, Sport- und Fashion-Marketing immer weiter ausgebaut und perfektioniert. So ist es kein Wunder, dass G-Shock auch 30 Jahre nach der Funky Fashion Show die weltweit führende Lifestyle-Uhrenserie ist. Wie viele dieser Uhren insgesamt bis heute hergestellt wurden, ist nicht belegt. Die letzte offizielle Zahl stammt aus 2017: Da war gerade die 100.000.000ste G-Shock vom Band gelaufen.